Angst reist mit
Ein Reiseoperepos in diversen Aufzügen
Eine Insel fernab der Zivilisation, laut Reiseprospekt eines der letzten unberührten Paradiese. Hier wollen Karl und Karla, ein älteres Lehrerehepaar, Ferien vom Ich machen und Ansgar und Kevin, zwei Journalisten Anfang 30, investigativ die Missstände der Dritten Welt aufdecken. Die Hoffnungen der vier werden jedoch enttäuscht: Von Idylle keine Spur; ebenso fehlt jeder Hinweis auf Kindersoldaten oder Sextourismus. Stattdessen gibt es Langeweile pur, beiläufige Tsunami-Warnungen, Outdoor-Zelte aus Hannover und ganz besonders Eingeborene, hinter deren professioneller Freundlichkeit der blanke Hass aufblitzt, denn eine Übernachtung auf dem Eiland kostet fast so viel, wie die dortigen Angestellten im gesamten Jahr verdienen. Gequält von unbehaglichen Gefühlen, dehnt sich für die Urlauber die Zeit, verschärft sich der Ton ihrer Debatten. Altlinke Ideale treffen auf neoliberalen Ehrgeiz, die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit auf die Wünsche nach Komfort – bis alle gemeinsam in Geiselhaft geraten. Ein Albtraum beginnt, der zum Überprüfen vorgefasster Meinungen zwingt und überraschende Potentiale freisetzt.
Mit finsterem Humor konfrontiert Sibylle Berg in ihrer „Reiseoper“ westliche Wohlstandsignoranz mit dem Aufstiegswillen einstiger Entwicklungsländer zur Wirtschaftsmacht und zeigt eine Welt, in der die geographischen Entfernungen zwar kleiner, die Verteilungskämpfe aber umso größer geworden sind.
Premiere: 22.3.2013, Staatstheater Stuttgart
Verlag: Rowohlt Theaterverlag
Regie: Hasko Weber
Ko-Regie: Sibylle Berg