Texte
Guten Morgen, ich möchte mit Ihnen über Gott reden.
Vor dessen oder deren Siegeszug durch die Hirne glaubten die Menschen an Zauber und Feen, waren sich selbst und der zu großen Welt ausgeliefert. Die Religion gab dem Glauben an Waldwichtel und Donnergötter endlich eine Ordnung und der Synkretismusvon Glauben und Wissen wurde institutionell. In Folge wussten sich Millionen im Besitz einer Wahrheit – der ihrer Religion. Und sie begannen, Menschen, die an eine andere Wahrheit, also andere Religionen, glaubten, zu bekämpfen.
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Daran hat sich nichts geändert. Wir hassen uns aufgrund unklarer Sachlagen, absurder, nicht bestätigter Theorien und Meinungen, die flüchtig sind. Selbst auf einige wissenschaftlich belegte Fakten (Sonne geht auf und unter, Erde ist rund, Menschen sind sterblich) konnten sie sich nicht allumfassend einigen, die Leute. Was vom eigenen Glauben und dessen Rechtfertigung abweicht, wird entweder überhört, verspottet oder modisch als »Verschwörungstheorie« bezeichnet. Und Ruhe ist. Eine unangenehme Abkürzung, die unsere Gehirne nehmen, leider oft bestärkt von zu vielen Nischen witternden AutorInnen, die faktisch tendenzielle Bücher zu dem Thema verfassen. Der Blick auf Logik, die Freude am Lernen und Verstehen ist zu einem Klugscheißer-Battle verkommen. Zu einfach zu verführen ist unser Verstand, zu schnell stellt man Onlinemanipulationen her, zu komplex sind die weltweit verfügbaren Informationen für die Einzelne.
Aber.
Woran sollen wir glauben, was ist die Wahrheit, wem gehört sie, wem nützt sie und was passiert eigentlich, wenn wir etwas nicht wissen, explodieren wir dann? Die Menschen, die von der gesunden Eigenschaft eines sehr herzhaften Frühstücks überzeugt sind, kann man als Opfer der Lügen von Edward Bernays bezeichnen, der die Trägheit des Verstandes akribisch erforschte, und zum Wohle aller die Propaganda erfand. Er erklärte Rauchen zu einer gesunden Sache, baute die Basis für den amerikanischen Traum, der, in die ganze Welt transportiert, der Wirtschaft nütze. Prost. Sein Nachfolger heute ist die einflussreichste Propaganda-Agentur der Welt, Hill&Knowlton
, die weltweit im Gebiet der Wahrheitsfindung und -zementierung tätig ist. Die mopsfidelen Propagandisten klärten die Welt über den teuflischen Saddam Hussein auf, sie arbeiten im Auftrag des kuwaitischen Herrscherhauses, promoteten Asbest und Tabak .
Keine Ahnung, ob es so klug war, sie auch mit der Warnung vor tödlichen Seuchen zu beauftragen , sie in der Nähe der EU-Kommission in Brüssel zu dulden oder sie mit ihrer Partneragentur einen Klub in der Nähe des Bundeshauses in der Schweiz betreiben zu lassen . PR-Agenturen sollten Nudeln promoten oder Sportlern ein sportliches Image verpassen. Meine Meinung.
Doch die Frage bleibt: Was sollen wir glauben, wenn wir die schnell hingewurstelten Schlagzeilen lesen, die sich schon am nächsten Morgen als geht-so-richtig herausstellen? Wie PolitikerInnen trauen, die ihr Wissen von Beratergruppen erhalten, zu denen in einigen Ländern Klimaleugnerinnen wie das Heartland Institut zählen, die WissenschaftlerInnen für die – sagen wir einseitige – Gewichtung ihrer Untersuchungen zahlen?
Glauben wir der Schwarmintelligenz – also der Ansammlung überforderter Menschen – die sich ihre Überzeugung nach ihrer aktuellen Religion zusammensuchen, und sie, sich als einzig Sehende begreifend, ihre Fakten bis zur Verbitterung verteidigen? Soll in den Zeiten von Deepfake, also maschinell gefälschter Film- und Tondokumente doch der AI die Wahrheitsfindung überlassen werden ? Oder kann es schiefgehen, wenn die AI beginnt, sich selbst zu programmieren ?
Trauen wir Fact-Checkern , die wieder aus Menschen bestehen, die man nicht kennt? Soll die Deutung der Wahrheit Staatssache sein ? Oder wohnt der Etablierung von Kontrollgremien nicht immer auch der Unsicherheitsfaktor der Zensur inne? Was nur tun mit dem Zweifel? Der Frage, wem glauben, wenn man nicht einmal dem Wetterbericht vertrauen kann, das stimmt ja nie, oder den Ordnungshütern, die heimlich Prinzen huldigen?
Vielleicht ist es, um nicht durchzudrehen, eine Lösung, die guten alten Geisteswissenschaften zu befragen. Im Ringen um die Bedeutung der Wahrheit gibt es den Begriff der Intersubjektivität.
»Sie mögen zuerst unterschiedliche Ergebnisse erhalten, aber wenn jeder seine Methoden und Prozesse perfektioniert, wird man feststellen, dass die Ergebnisse sich stetig auf ein vorbestimmtes Zentrum hinbewegen.
Die Meinung, der alle Forscher schicksalhaft am Ende zustimmen müssen, ist das, was wir mit Wahrheit meinen, und der Gegenstand, der durch diese Meinung repräsentiert wird, ist das Reale.«
– Charles S. Peirce
Geschichte ändert sich, Wissenschaft entwickelt sich weiter, es ist ein Zeichen von Borniertheit, zu denken, im Besitz der Wahrheit zu sein.
Der nähert man sich oft durch das Zulassen verschiedener Positionen. Kein Mensch, außer mir, ist im Besitz einer für immer gültigen Wahrheit, denn das wäre das Ende unserer Entwicklung. Die Suche nach Gültigkeit, die Thesen und Antithesen zulässt und sie als Lernen begreift, als ständigen Austausch und Pflege des eigenen Verstandes, hilft dabei, sich zu entspannen. Ansonsten hilft es, Ruhe zu bewahren. Selbst wenn Sie oder ich die absolute Wahrheit kennen würden, die es nicht gibt, es wäre der Welt vollkommen Stulle.